USA 2014
„I
travel because I like to move from place to place, I enjoy the sense of freedom it gives me, it pleases me to be rid of ties, responsibilities, duties, I like the unknown [...]; I am often tired
of myself and I have a notion that by travel I can add to my personality and so change myself a little. I do not bring back from the journey quite the same self that I took".
(W. Somerset Maugham)
Es ist zwei Uhr in der Frühe als ich diese Zeilen schreibe. Ich finde einfach keinen Schlaf. Wir sind gestern aus den USA zurück gekommen. Aber während mein Körper wieder
in der Heimat ist, bin ich im Geiste immer noch in Florida, und auch mein Bio-Rhythmus hat den Ortswechsel bzw. die damit einhergehende Zeitverschiebung offenbar noch nicht verarbeitet. Nachdem wir
in den letzten Jahren ausschließlich in Europa unterwegs gewesen waren, hatte es uns nun wieder einmal über den großen Teich gezogen. Wir hatten in den USA eine fantastische Zeit, haben uns gut
erholt und ein kleines Stückchen eines großen - und großartigen - Landes gesehen. Und auch wenn mich jetzt der Jetlag quält, hat sich der Trip doch wirklich gelohnt. Aber der Reihe nach:
Zu unchristlicher Stunde besteigen wir den Airbus A380, der uns in 10 Stunden von Frankfurt nach Miami bringen soll. Alle Formalitäten sind erledigt, alle Papiere ausgefüllt. Der administrative
Aufwand einer USA-Reise ist nach dem 11. September 2001 nicht zu unterschätzen. Ob das tatsächlich der Sicherheit dient, weiß ich nicht. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass schon einmal jemand
bei der Frage, ob er einen Anschlag in den USA plant "Ja" angekreuzt hat. Ich fliege nicht gerne, fühle mich im Flugzeug eingeengt und mir schlafen immer wieder die Gliedmaßen ein. Außerdem wird mir
sehr schnell langweilig. Aber dagegen gibt es wirksame Strategien. So kann man sich die Zeit beispielsweise mit Spielen vertreiben. Und da den anderen Passagieren sicher genau so langweilig ist,
sollte man diese idealerweise gleich mit unterhalten. Das geht ganz einfach, indem man etwa während der Sicherheitsunterweisung aufsteht und die Stewardess laut fragt, ob es normal sei, dass die
Schwimmweste nass ist. Alternativ kann man sich gegenüber Mitreisenden durch dunkle Prophezeiungen hervortun, wie etwa, dass das alles kein gutes Ende nehmen werde, oder erzählen, dass
der Pilot gerade mit einem Flachmann auf die Toilette verschwunden sei. Auch ein schallendes "Allahu Akbar" ist geeignet, die trägen Mitreisenden wachzurütteln. Aber das wäre natürlich nicht nett und
könnte unter Umständen zu einem ungewollten Aufenthalt mit offenem Ende in Guantanamo führen. Also mache ich stattdessen regen Gebrauch von der Bordunterhaltung und schaue mir drei Spielfilme, drei
Folgen von TV Serien und eine Dokumentation über das Paarungsverhalten der Grottenolme an. Die cineastische Orgie wird nur durch zwei lieblose, dafür aber kochend heiße Mahlzeiten unterbrochen.
Als wir mit gehöriger Verspätung in Miami landen regnet es, aber immerhin ist der Regen 26 Grad warm. Wir wollen uns zunächst fünf Tage lang Miami anschauen, ehe wir für weitere fünf Tage nach
Cape Coral fahren, um mit einer gemieteten Harley Davidson ein wenig die Golfküste unter die Räder zu nehmen. Wir genießen die Zeit in Miami Beach, machen Strandspaziergänge bei Sonnenuntergang,
baden im Pool auf dem Dach unseres Hotels und ich fotografiere mich in Rage. Der Bill Baggs Cape Florida State Park auf Key Biscayne, Miami Downtown und das Art Deco Viertel mit dem berühmten Ocean
Drive haben es mir besonders angetan. Auch das Holocaust Memorial in Miami Beach ist sehenswert. Es handelt sich um einen 13 Meter hohen Arm, der nach Hilfe suchend Richtung Himmel greift, und an dem
verzweifelte Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern emporzuklettern versuchen. Der Arm steht in einer Rotunde aus schwarzem Marmor, in den die Namen von Opfern der Judenverfolgung eingraviert
sind. Normalerweise bin ich für Kunst und schöngeistige Dinge eher unempfänglich, aber dieses Denkmal ist wirklich bewegend. Leider komme ich nicht dazu, den Ort in Ruhe auf mich wirken zu lassen, da
mich ein amerikanischer Herr in den Vierzigern anspricht, um mir eine Kassette mit angelesenem Halbwissen und mit seinen unausgegorenen Überzeugungen ins Ohr zu drücken. Der Tenor ist, dass alle
Menschen Brüder seien und es daher eine Sünde sei, gegeneinander Krieg zu führen. Die Ungerechtigkeit auf der Welt und die Missachtung von Menschenrechten mache ihn so wütend, dass er glatt selbst
gegen die Übeltäter in den Krieg ziehen möchte. Dabei klatscht er zur Unterstreichung seiner Thesen immer wieder mit der flachen Hand auf den Kopf einer der Statuen, die einen leidenden, abgemagerten
Juden darstellt. Um eine langatmige Unterhaltung zu vermeiden stimme ich ihm eifrig zu und schlage ihm vor, doch am besten gleich jetzt seinen Kreuzzug zu starten, um die Welt zu einem besseren Ort
zu machen. Leider versteht er den Wink mit dem Jägerzaun nicht. Erst als eine arglose italienische Familie die Rotunde betritt, lässt er von mir ab und wendet sich seinen neuen Opfern zu. Während ich
mich davonstehle höre ich noch, wie er über Mussolini schwadroniert.
Abends erfreuen wir uns an der amerikanischen Fernsehkultur, die sich in mancher Hinsicht von der unseren unterscheidet. Zunächst sind wir erstaunt über die Vielzahl von Kanälen, aber nach einer
halben Stunde hat man sich einmal durchgezappt und erkannt, dass die Hälfte der Programme Sportkanäle sind, auf denen Football, Baseball oder Basketball läuft, und die restlichen Kanäle zeigen das
Wetter oder mehr oder weniger unterhaltsame Talkshows. Am besten gefallen uns die Werbespots für Medikamente. Offenbar sind die Hersteller verpflichtet, auf alle bislang bekannten oder zumindest
denkbaren Nebenwirkungen ausdrücklich hinzuweisen. Das hat zur Folge, dass zunächst zu sanften Melodien die Vorzüge des Präparats gepriesen werden, während die Schauspieler in die Kamera lächeln oder
mit ihren vermeintlichen Familien herumtollen, und anschließend meist doppelt so lange erklärt wird, was alles passieren kann, wenn man die Pillen futtert. Das klingt dann in etwa so: "Sie sollten
dieses Medikament nicht einnehmen, wenn Sie schwanger sind, es irgendwann noch einmal werden wollen oder jemanden kennen, der schwanger ist. Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, juckende Ekzeme,
Mundgeruch und Wanderhoden. In seltenen Fällen kann es dazu kommen, dass Sie aus den Augen bluten und sterben." Ich würde mir da jedenfalls nichts aus der Apotheke holen.
Nach dem Trubel und dem pulsierenden Nachtleben im Art Deco Viertel sehnen wir uns nach etwas Ruhe. Mehr Platz für weniger Leute, das wäre gut. Auf dem Tamiami Trail fahren wir quer durch die
Everglades Richtung Westen. Kurven sind hier echte Mangelware. Beim Blick auf die Karte war mir schon aufgefallen, dass die Straße aussieht, als sei sie mit dem Lineal gezogen worden, aber ich
hatte doch insgeheim die Hoffnung, dass dies nur dem groben Maßstab unserer Karte geschuldet ist. Doch auch im Maßstab 1:1 geht es immer nur schnurstracks geradeaus. Nur die rockigen Klänge aus dem
Radio und der Stier mit den Flügeln halten mich wach. Am Wegesrand sehen wir immer wieder Alligatoren, die sich sonnen. Die wechselwarmen Tiere haben im Winter ihre liebe Mühe, auf Temperatur zu
kommen. Ich ertappe Neringa dabei, wie sie grob überschlägt, wie viele Krokos man wohl benötigt, um eine Handtasche und ein paar Schuhe herzustellen.
In Fort Myers übernehmen wir beim Harley Davidson Händler eine schwarze Breakout. Wenn man in Amerika ist, muss man es wie die Amerikaner machen! 660 mm Sitzhöhe, 320 kg schwer und ein 240er
Breitreifen am Heck. Da verheißen die angekündigten 75 PS zunächst einmal nicht gerade brachiale Fahrdynamik. Und tatsächlich ist der schwere Bock nur mit beträchtlichem Kraftaufwand zum Einlenken zu
bewegen. Ein Handlingwunder ist sie also nicht, das wird mir schon auf dem Parkplatz klar. Und dennoch muss ich zugeben, dass eine solche Maschine einen ganz besonderen Reiz hat. 130 NM Drehmoment
holt der luftgekühlte V2 aus seinen 1690 Kubikzentimetern Hubraum heraus, das schiebt schon ab Standgas ganz gewaltig an. Es macht mir diebische Freude, an der Ampel im Stile eines Dragsters zu
starten und alle anderen förmlich stehen zu lassen. Um meine Gattin muss ich mir dabei ausnahmsweise keine Sorgen machen, denn die hat sogar eine Rückenlehne.
In Florida besteht keine Helmpflicht. Daher sind sie Einheimischen, abgesehen von ein paar Sportfahrern, praktisch allesamt "oben ohne" unterwegs. Für die Touristen hält der Harley Händler
jedoch ein paar Suppenschüsseln parat, die man sich ums Kinn schnallen kann. So leicht bekleidet würden wir daheim niemals fahren, aber ich muss gestehen, dass es ein Gefühl der Freiheit gibt, den
Wind im Gesicht, an den Händen und durch die Alltagsklamotten zu spüren. Der Nachteil ist, dass man sich an Stellen, die normalerweise gut geschützt sind, binnen kurzer Zeit einen ordentlichen
Sonnenbrand zuziehen kann, wie wir abends mir krebsroten Nasen und Händen feststellen müssen.
Die Amerikaner fahren erfreulich defensiv. Auch wenn ich nach dem Weg suchend gelegentlich im Schleichtempo durch die Gegend rolle oder mich in allerletzter Sekunde zum Spurwechsel entschließe,
gibt es kein Hupkonzert oder eine tätliche Auseinandersetzung, wie sie bei uns gewiss wäre. Immer wieder beobachte ich, wie Autofahrer minutenlang geduldig hinter einem Fahrzeug warten, das in eine
Parklücke rangiert oder beladen wird, statt einfach auf die zweite Spur oder die Gegenfahrbahn zu ziehen, um das Hindernis zu umfahren. Ich empfinde das Fahren selbst in der fremden Großstadt
jedenfalls als überraschend angenehm.
Am Golf von Mexiko sehen wir uns unter anderem das beschauliche Naples an, wo wir den historischen Fishing Pier fotografieren und auf der Prachtmeile, der 5th Avenue South, zu Mittag essen.
Weitere Ziele sind u.a. Fort Myers Beach und die zauberhaften kleinen Inseln Sanibel und Captiva. Während Fort Myers Beach ziemlich überlaufen ist, hat man an den traumhaften Stränden der beiden
Inseln wunderbar Ruhe, der weiße Sand ist nahezu menschenleer. Insgesamt ist festzuhalten, dass man an der Golfküste im Vergleich zu Miami deutlich mehr Ruhe hat und eine höhere Qualität für
kleineres Geld geboten bekommt. Das gilt sowohl für unser Hotel als auch für die Restaurants, in denen wir unterwegs gegessen haben.
Schweren Herzens geben wir am letzten Tag die Harley ab, genießen ein letztes Mal das üppige Frühstück am Pool und machen uns auf den Weg zurück zum Flughafen in Miami. Die USA und Harley
Davidson haben zwei neue Fans hinzu gewonnen. Wir kommen wieder, garantiert!