Enduro Tour Friaul 2016
„Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist - denn vorher gehörst du ihm.“
(Hans Kammerlander)
KTM auf Forcella Ielma
Es ist mittlerweile eine liebgewonnene Tradition, dass wir uns gegen Ende der Saison noch einmal zum Wandern und Motorradfahren in die Berge begeben. Wie nah wir dem Ende der Saison heuer
kommen, überrascht uns selbst – doch dazu später mehr. Diesmal geht es jedenfalls in ein wahres Eldorado für motorisierte und nicht-motorisierte Alpinisten: das Friaul im Nordosten Italiens, inmitten
der Dolomiten und der Karnischen Alpen. Diese Gegend ist wie geschaffen für meine KTM 690 Enduro R. Als ich ihr bei der Kettenpflege in der heimischen Garage unsere Reisepläne schildere, hat sie vor
lauter Vorfreude bereits Schlupf am stollenbereiften Hinterrad. Doch das bedeutet auch, dass wir erstmals nicht auf dem Motorrad anreisen, sondern im Auto und mit Anhänger.
Wir brauchen etwa neuneinhalb Stunden für die rund 700 km von Frankfurt nach Sappada, wo wir uns im Hotel „Haus Michaela“ einquartiert haben. Das Hotel ist voll und ganz auf die Bedürfnisse von
Endurofahrern eingestellt: Es gibt eine abschließbare Garage, einen Dampfstrahler, und jede Menge Streckenempfehlungen aus erster Hand von Juniorchef Fabrizio. Und vor allen Dingen gibt es ganz
hervorragendes regionales Essen, das die verbrauchten Kalorien wieder zurückbringt – und sicher noch ein paar zusätzliche als Reserve…
Sappada
Haus Michaela in Sappada
Am Tag nach der Anreise wollen wir uns erst einmal die steifen Beine vertreten. Eine kurze, nicht zu anspruchsvolle Wanderung soll es sein. Wie z.B. direkt vom Hotel zu den Laghi D’Olbe, ein
paar kleinen Bergseen auf dem Monte Lastroni. Immerhin Platz fünf von 27 der Sappada Aktivitäten bei Trip Advisor. Das klingt doch genau richtig: etwas Bewegung, womöglich ein paar gute
Fotogelegenheiten am Bergsee, und anschließend ein herzhaftes Mittagessen im Rifugio Rododendro. Dass es sich tatsächlich um eine recht stramme Wanderung handelt, wird uns erst so richtig klar, als
wir uns etwa eine Stunde später schnaufend mit Finger- und Fußnägeln in den Hang krallen. Ein Blick in die topographische Karte bringt die schreckliche Gewissheit: Die Wanderung hat gut und gerne
über 1.000 Höhenmeter im Anstieg. Der Pfad ist teilweise so schmal, dass man nicht beide Füße neben einander stellen kann, und der grobe Schotter folgt nur allzu bereitwillig der Schwerkraft und
rollt und rutscht talwärts, wenn man auf ihn tritt. Die 8 kg Fotoausrüstung, die ich bergan schleppe, sind jetzt auch nicht eben hilfreich. „Hey Meister, gibt’s hier denn kein‘ Lift?“ kommt
mir unweigerlich der Satz aus der Fernsehwerbung für ein fruchthaltiges Brausegetränk in den Sinn. Doch, den gibt es. Aber der ist derzeit leider nicht in Betrieb. Nur die Aussicht auf ein deftiges
Mittagsmahl lässt uns schließlich weiter kraxeln. Als wir irgendwann keinen Wegweiser mehr zu den Laghi D’Olbe finden, verkündet Neringa, dass sie keinen Bock mehr hat, setzt sich auf einen Stein und
vertilgt unsere letzten kärglichen Nahrungs- und Wasservorräte. Zum Glück gehe ich noch ein paar Meter weiter bis auf die nächste Kuppe, von wo ich den Bergsee erspähen kann. So unmittelbar auf der
Zielgeraden will dann auch Neringa nicht kleinbeigeben und erklimmt doch noch die letzten Meter. Der Blick auf den tiefgrünen See vor der schroffen Gebirgskulisse entschädigt uns für die Strapazen
und lässt uns für einige Minuten den eisigen Wind vergessen. Wir machen ein paar Fotos und brechen dann einigermaßen beschwingt auf zum etwa anderthalb Stunden entfernten Rifugio Rododendro.
Speckknödel, Schlutzkrapfen, Apfelkuchen und Cappuccino stehen auf meinem kulinarischen Wunschzettel. Doch der einzige Kuchen, den ich heute bekomme, ist Pustekuchen! Das Rifugio hat ausgerechnet
heute geschlossen. Meine Laune verfinstert sich drastisch, und was ich in den folgenden 60 Minuten auf dem Weg zum Hotel auf der Tonspur absondere, ist alles andere als jugendfrei.
Korrekter Ausblick
Laghi d'Olbe
Laghi d'Olbe
Am Folgetag tut mir alles weh und ich habe überhaupt keine Lust, auch nur einen Meter aus eigener Kraft zurückzulegen. Ich werde heute nur Motorradfahren, soviel steht fest. Jetzt muss ich nur
noch jemanden finden, der mich waidwunden Wandergreis auf die KTM hebt. Da kommt mir die illustre Truppe fränkischer Enduristen („aus Nemberch“) gerade recht. Die Herren im besten
Mannesalter sind stets zu Späßen aufgelegt und geizen nicht mit Tipps aus ihrem zweifelsohne reichen Erfahrungsschatz. Mit ihren Freerides, Gas Gas und Betas fahren sie die schwarze Piste auf dem
Hausberg hoch, durchqueren Flussbetten und graben das örtliche Biathlongelände um – sehr zur Freude des Platzwarts, der mit Polizei, Gefängnis und Entmannung droht. Zunächst will ich die Panoramica
delle Vette unter die Räder nehmen, die die Franken bereits zum Aufwärmen am Vortag inspiziert haben. Als ich nach dem Frühstück das Haus verlasse, ist es zwar klirrend kalt, aber immerhin trocken
und sonnig. Trubel ist um diese Jahreszeit ein Fremdwort im Friaul, sodass ich zügig (aber selbstverständlich unter Einhaltung der geltenden Verkehrsbestimmungen) ins Zielgebiet „einfliegen“ kann.
Ich wähle den östlichen Einstieg auf die rund 30 km lange Panoramastraße, deren Rampen asphaltiert sind und deren Scheitelstrecke überwiegend geschottert ist. Sie führt auf bis zu 1967 m Höhe knapp
unter dem Bergkamm von Monte Crostis, Monte Pezzacul und Piz di Mede entlang und gewährt fantastische Ausblicke auf die Karnischen Alpen. Die Freude über den gelungenen Ausflug wird nur kurz getrübt,
als mir auf der Abfahrt eine Gruppe aus sieben Motorradfahrern entgegenkommt, von denen der zweite, dritte und vierte dermaßen ungeschickt die Kurve schneiden, dass ich glatt prüfen könnte, ob sie
sich heute Morgen die Ohren geputzt haben, wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt wäre, mit der rechten Schulter an der Felswand entlang zu navigieren. Damit ihr seht, dass ich nicht übertreibe,
habe ich unten das Video zur Tour verlinkt. Überzeugt euch also gerne selbst!
Frostiges Erwachen
Björn und Kati auf der Panoramica delle Vette
Als fahrtechnische Steigerung geht es danach zur Forcella Lavardet. Die 34 km lange, weit überwiegend geschotterte Strecke beginnt gleich hinter Campolongo. Dass man richtig ist, merkt man
daran, dass man im Laufe der ersten Minuten gleich viermal das kleine Flüsschen Frison überquert. Wenig später kommt man zu einem kurzen Teilstück, das aus 14 asphaltierten Kehren besteht. In dem
Kurvenkarussell bekommt man beinahe einen Drehwurm. Anschließend geht es auf grobem Schotter bergan. Unterwegs treffe ich nur einen einzigen Menschen, der – wie könnte es anders sein?! – eine R 1200
GS fährt…
Noch mehr fahrerische Herausforderung verspricht die Forcella Ielma. Zwar wurden einige Abschnitte des Weges in den letzten Jahren mit Betonplatten versehen, weil Schotter und Erde bei starken
Regenfällen immer wieder abgerutscht sind. Dennoch bleiben noch genug knackige Anstiege und enge, geschotterte Kehren, um das Enduristenblut in Wallung zu bringen. Bei teilweise über 20% Steigung
schraubt sich der Weg auf rund 1.900 m hinauf. Einmal oben angekommen hat man einen tollen Blick auf die Pesariner Dolomiten. Einen brenzligen Moment gibt es jedoch auch bei diesem Ausflug. Denn bei
der Auffahrt kommt mir ein Holzlaster entgegen. Wir treffen uns ausgerechnet an einer Stelle, die gerade so breit ist, wie ein Holzlaster und der Lenker einer KTM 690 Enduro. Aber leider nicht ganz:
Während ich auf dem linken Fuß balancierend am äußersten rechten Fahrbahnrand stehe und nach unten in den Wald blicke, rollt der Laster an mir vorbei und touchiert dabei meinen Lenker. Danach bin ich
erst einmal hellwach.
Forcella Ielma
KTM auf Forcella Ielma
Nur mit etwas himmlischem Beistand schaffe ich es auf den Gipfel
Die geschotterte kleine Militärstraße hinauf zum Monte Zoufplan ist dagegen das reine Vergnügen. Ich bin früh morgens ganz alleine und genieße nach der eiskalten Anfahrt das wärmende Licht der
noch tief stehenden Sonne. Die Straße führt in mehreren langen Kehren vorbei an einer Sendeanlage und einer Alm bis zum Wendeparkplatz auf 1.967 m. Die letzten Meter bis zum Gipfel bzw. zum kleinen
Zoufplansee müsste man zu Fuß zurücklegen, wozu ich nach der Wandereskapade vor ein paar Tagen nicht in der Lage bin, und mit Motorradstiefeln im Übrigen auch keine Lust habe. Stattdessen schieße ich
lieber ein paar Fotos und rolle wieder ins Tal, um mich bei einem Cappuccino aufzuwärmen.
Blick vom Monte Zoufplan
Wegen Arbeiten auf der Strecke verzögert sich die Weiterfahrt um einige Minuten
Koffeeinhaltiges Heißgetränk nach getaner Arbeit
Als der Muskelkater etwas nachlässt wagen wir uns doch noch einmal per pedes in die Bergwelt. Von Collina steigen wir auf zum Wolayersee (1950 m) auf der Kärntner Seite des Karnischen
Hauptkamms. Die Hütte oben am See hat bereits vor zwei Wochen dichtgemacht und der Pächter erledigt nur noch ein paar letzte Aufräumarbeiten, weil nunmehr jeden Tag der erste Schnee fallen kann. Aber
nach der Erfahrung bei der Wanderung zu Anfang der Woche haben wir natürlich vorgesorgt und reichlich Proviant mitgebracht. Für Verwirrung sorgt ein kleiner Hund mit „Julius K9“ Weste, der weder uns,
noch dem Pächter der Hütte, noch dem italienischen Paar, das uns entgegenkommt, gehört. Später finden wir heraus, dass er den Betreibern eines Rifugios in Collina gehört. Wenn er glaubt, mehr Auslauf
zu brauchen, läuft er mit irgendwem, den er sympathisch findet, den Berg hinauf bis zum See, und geht mit jemand anders wieder hinunter. Vermutlich kauft er auch sein Hundefutter selbst.
Örtliche Fauna
Außerdem besichtigen wir noch Cima Sappada. Der historische Ortskern ist quasi ein Freiluftmuseum, in dem immer noch Menschen leben. Der Regisseur Terrence Malick hat hier im Sommer dieses Jahres
für sein neues Polit-Drama „Radegund“ gedreht. Darin spielt August Diehl den Österreicher Franz Jägerstätter, der für seinen Widerstand gegen das Dritte Reich hingerichtet wurde.
Der Lehrer in Cima Sappada ist mächtig gefordert, denn seine Schüler haben nur Stroh im Kopf
Biker sind in Cima Sappada gern gesehene Gäste
Fassadenkletterer in Cima Sappada
Auf dem Rückweg zum Hotel dreht dann tatsächlich das Wetter: Der Himmel verfinstert sich, es wird kälter und in der Nacht fällt in höheren Lagen der erste Schnee. An eine Wanderung oder eine
Motorradtour bis auf 2.000 m ist nun nicht einmal mehr zu denken. Es scheint, als hätten wir die diesjährige Saison also bis zum letzten Tag ausgereizt. Doch es gibt hier noch so viele traumhafte
Strecken, die ich diesmal nicht unter die Räder nehmen konnte, dass wir unbedingt wiederkommen müssen. Vielleicht schon im nächsten Jahr.
Der erste Schnee
Nachthimmel über Sappada
Unter diesem link findet ihr den Film zur Tour: