Dolomiten 2015
 
"Die Gebirge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler."
                                                               (J.W. von Goethe)
Ich widerspreche dem großen Goethe nur ungern, aber seine Aussage stimmt nur teilweise. Denn als Neringa, die GS und ich in die Berge kommen, sind diese zwar tatsächlich stumm, mir hingegen entfahren durch das gelupfte Visier vor Begeisterung immer wieder verzückte Jauchzer und geistlose Kommentare wie "Hammer!" oder "Knaller!". Als Schüler war ich eben schon immer eine Niete. Aber der Reihe nach: Ende Mai beschließen wir spontan, mit dem Motorrad nach Südtirol zu fahren und uns auf dem Hin- und Rückweg ein wenig das Allgäu anzuschauen. Auf den letzten Drücker buchen wir ein Apartment im "Berghotel" in den Sextner Dolomiten. Das Hotel ist auf Wanderer spezialisiert und bietet neben Kartenmaterial und Tourenvorschlägen auch geführte Wanderungen und einen Wanderbus, der die Gäste zu den besten Strecken bringt, an. Und als Biker freut man sich über den Stellplatz in der Garage.
 
Wir füttern noch einmal ausgiebig das Eichhörnchen, das in unserem Garten lebt, denn es ist jetzt acht Tage auf sich allein gestellt, und satteln mit unseren Siebensachen die GS. Ich hatte die Losung ausgegeben, dass wir diesmal mit minimalem Gepäck reisen. Allerdings scheint "minimal" ein dehnbarer Begriff zu sein: Während neben meiner Kameratasche nur noch ein paar Unterhosen und Shirts in meinen Koffer passen, nimmt Neringa für acht Tage vier Paar Schuhe und zwei Laibe von ihrem Lieblingsbrot (!) mit. Der Adventure Spirit ist bei uns ziemlich  ungleich verteilt, um es einmal diplomatisch zu formulieren. Beim Losfahren habe ich das Gefühl, dass das Vorderrad praktisch keinen Bodenkontakt hat, so schwer ist der Bock mal wieder geworden. Aber ich will mich nicht beklagen, denn immerhin sind wir auf dem Weg in ein fantastisches Motorrad- und Wanderrevier, die Wettervorhersage verspricht perfekte Bedingungen und ich komme endlich wieder einmal dazu, ein gutes Buch zu lesen. Die erste Nacht verbringen wir in Kempten. Nach einem späten Mittagessen schauen wir uns die Altstadt an und bestaunen die Basilika und die Orangerie, bevor es in die Koje geht. (Seiten in meinem Roman gelesen: 0 von 475)
Raubtierfütterung
Basilika in Kempten
Basilika
Orangerie in Kempten
Neri chillt in Kempten

Am nächsten Morgen machen wir noch einen kurzen Stopp in Hohenschwangau, um uns die Königsschlösser anzusehen, bevor wir "Sexten/Südtirol" ins Navi eingeben. Wir überqueren den Fernpass, von dem man normalerweise einen guten Blick auf die Zugspitze hat. Die ist heute jedoch etwas schüchtern und versteckt sich in einem dichten Wolkenband. Über den Brenner und durch das Pustertal fahren wir anschließend zum Hotel. (Seiten gelesen: 0 von 475)

Königsschloss in Hohenschwangau
Ankunft in den Dolomiten
Berghotel in Sexten
Neringa vorm Berghotel
Am nächsten Tag schlafen wir erst einmal aus und gönnen uns ein ausgiebiges Frühstück am überragenden Büffet des Berghotels. Mit kugelrunden Bäuchen schleppen wir uns zur Seilbahn, die uns auf den Monte Elmo bringt. Von der Station auf etwa 2.000 Metern müssen wir rund 400 Höhenmeter bis zum 2.434 Meter hohen Gipfel erklimmen. Der Schlussansteig ist heftig und oben angekommen schnaufe ich so sehr, dass ich Mühe habe, die Kamera ruhig zu halten. Der Elmo ist einer der besten Aussichtspunkte in den Sextner Dolomiten. Als sich die Wolken lichten knipse ich unzählige Bilder für Panoramen. Den Abstieg machen wir über den Bänder und Sehnen mordenden Hüttensteig. Ich kann beim Gehen förmlich hören, wie von der andauernden negativen Belastung die Muskelfasern in den Waden reißen. Das wird morgen sicher ordentlich wehtun. (Seiten gelesen: 8 von 475)
Ein erfrischender Snack auf dem Gipfel des Monte Elmo
Geschafft!
Blick vom Monte Elmo auf die Sextner Dolomiten

Nach der ungewohnten körperlichen Anstrengung gestern wollen wir den heutigen Tag lieber wieder im Sitzen verbringen, denn darin haben wir schließlich viel mehr Übung. Mit der GS geht es im Uhrzeigersinn rund um die Sextner Dolomiten. Aus der geplanten Runde wird letztlich eine "8", weil wir bei der Gelegenheit noch ein paar Pässe in der Umgebung mitnehmen wollen. Kreuzbergpass, Tre Croci, Giau, Falzarego und wieder Tre Croci bescheren uns mehr Kurven und Kehren, als wir zählen können. Als Flachlandtiroler sind wir keine ausgewiesenen Bergfexe, daher freue ich mich über die Chance, mal wieder an richtigen Bergen eine gescheite Kurvenlinie zu üben: Gucken, drücken, gucken, drücken usw. (Seiten gelesen: 11 von 475)

Ein ständiges Auf und Ab
Die letzten Meter am Passo Giau muss man zu Fuß zurücklegen
So sieht eine entspannte Sozia aus
Die berühmten Drei Zinnen
Die namensgebenden drei Kreuze auf dem Passo Tre Croci

Heute fahren wir in leichten Wanderklamotten mit der GS in die Pragser Dolomiten, genauer zum Pragser Wildsee. Der See wird als "Smaragd der Dolomiten" beworben, und das Etikett passt perfekt: Im türkisen Wasser spiegeln sich die verschneiten Gipfel des Kleinen Apostel und des 2.810 Meter hohen Seekofel, und am Westufer ragen schroffe Felswände steil empor. Alle paar Meter muss ich stehen bleiben und Fotos machen, weil sich mit jedem Schritt ein neuer, noch spannenderer Blickwinkel ergibt. Erst als das Licht zum Fotografieren zu schlecht und die Temperatur zum Wandern und Motorradfahren zu hoch sind, ziehen wir uns für eine Massage ins Hotel zurück. Es knackt und knirscht im Gebälk, als die müden Knochen widerwillig ihren angestammten Platz einnehmen. Das Übermaß an Entspannung wird mir beinahe zum Verhängnis, als ich bei der Massage des unteren Rückens nur mit Mühe eine plötzliche Flatulenz unterdrücken kann. (Seiten gelesen: 11 von 475)

Pragser Wildsee
Zwergalpenrose
Um sieben Uhr klingelt der Wecker und um halb acht gibt es Frühstück. Denn heute machen wir eine Wanderung auf der Plätzwiese Hochalm mit Herbert, einem der Wanderführer des Berghotels. Herbert ist ein Südtiroler Original, das man einfach gerne haben muss. Die Wanderung geht über 13 km und hat 500 Höhenmeter im Aufstieg, ist aber auch mit unserer von Fast Food Exzessen geschwächten Kondition gut zu bewältigen, weil Herbert immer wieder anhält, um uns seltene Blumen zu zeigen. Auch Gämsen kreuzen unseren Weg, um aus dem kleinen Bächlein, an dem unser Anstieg entlangführt, zu trinken. Die verbrauchten Kalorien holen wir uns abends im Hotel in Form von Schlutzkrapfen und Topfenknödeln mit Nougatfüllung dreifach wieder zurück. (Seiten gelesen: 17 von 475)
Wanderung mit Herbert auf die Plätzwiese Hochalm
Traumhafte Berge, Wälder und Wiesen

Zweirädrige Mobiliät ja, aber heute zur Abwechslung einmal elektrisch! Mit e-Bikes vom Hotel erkunden wir das Fischleintal (siehe das Titelbild ganz oben), von dem Luis Trenker einst sagte, es sei das schönste Tal der Welt. Ohne nennenswerte Anstrengung und fröhlich plaudernd überholen wir in dem langen Anstieg auf dem Hinweg eine sportlich orientierte Mountainbikerin, die uns und unsere Damenräder verflucht. Nach einer Einkehr in der Talschlusshütte geht es per Schussfahrt zurück nach Sexten. Auf der langen Abfahrt büßt die Bremse an Transparenz ein, der Druckpunkt wandert - ein klares Anzeichen für das unter Bergfahrern gefürchtete Fading! So etwas ist unserer GS natürlich völlig fremd. Im Fernsehen verfolgen wir abends, wie sich rund um Schloss Elmau der Widerstand gegen den bevorstehenden G7 Gipfel formiert. Garmisch wird von ca. 20.000 Einsatzkräften hermetisch abgeriegelt und solle weiträumig umfahren werden, heißt es. Gleichzeitig soll man aber den Fernpass meiden, weil in einigen deutschen Bundesländern die Pfingstferien und/oder wegen Fronleichnam das lange Wochenende zu Ende gehen und daher mit starkem Rückreiseverkehr zu rechnen sei. Leichter gesagt als getan, wenn man wie wir von Südtirol ausgerechnet nach Füssen will. Superstau bei 30 Grad im Schatten, das sind nicht gerade verlockende Aussichten... (Seiten gelesen: 28 von 475)

Mit dem e-Bike durch das Fischleintal

Ganz ohne Stau und Stress rollen wir zu High Noon auf den Hotelparkplatz in Füssen. Und geraten in ein mittelalterliches Spektakel mit Kostümen, Ritterspielen, Trommlern und Fahnenschwenkern. Die Sonne brennt unerbittlich auf uns herab, sodass die Besichtigung von Altstadt, Hohem Schloss, Kloster St. Mang und Franziskanerkloster nur in gemächlichem Tempo und mit reichlich kalten Getränken machbar ist. Am Abend schauen wir das Champions League Finale und beobachten mit einem Auge durch das Fenster, wie sich ein schweres Unwetter über der Stadt entlädt und immer wieder Blitze in den nahegelegenen Bergen niedergehen. (Seiten gelesen: 44 von 475)

Mittelalterspektakel in Füssen
Rittertafel
Altstadt in Füssen
Altstadt in Füssen
Franziskanerkloster in Füssen
Hohes Schloss in Füssen
Paranormale Aktivität
Wenn ich in den kommenden Tagen wieder im Büro sitze und die Arbeit am Nervenkostüm zerrt, werde ich an die Berge denken, an das erhabene Gefühl auf dem Gipfel, und an das, was die stummen Meister mich gelehrt haben. Und meinen Roman lasse ich am Besten gleich im Motorradkoffer, denn ich brauche vermutlich noch acht weitere solcher Motorradreisen, um ihn fertig zu lesen. The end.