Harz 2013
„Reisen können ist eine der schwierigsten Künste. Eigentlich müsste man es im Hauptberuf betreiben".
(Walter Nissen)
Mitte August. Der Jahrtausendsommer entlässt Deutschland für ein paar Tage aus seiner feurigen Umklammerung. Dieses kurze Zeitfenster, diese logische Sekunde zwischen Schneeregen und Gluthitze,
zwischen Aquaplaning und Asphaltaufbrüchen auf bundesdeutschen Autobahnen wollen wir nutzen, um uns übers Wochenende den Harz anzuschauen, bevor kommende Woche die Sommerferien mit einem
Verkehrsinfarkt zu Ende gehen. Kaum haben wir die Linie überquert, die noch vor rund zwei Jahrzehnten die undurchdringliche Grenze zum Ostblock markierte, geraten wir in einen Hagelschauer, der sich
gewaschen hat. Die Einschläge auf unseren dünnen Sommerkombis sind regelrecht schmerzhaft und die Geräuschkulisse im Helm gleicht einem Heavy Metal Konzert. Wenige Minuten später ist der Spuk dann
wieder vorbei.
Zuerst sehen wir uns in Nordhausen die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora an. Kaum zu glauben, dass in dieser friedvollen, idyllischen Landschaft NS-Gräueltaten begangen wurden, aber das Arbeitslager,
das Museum und das Krematorium sprechen eine deutliche Sprache. Es ist beschämend zu sehen, zu was der Mensch im Stande ist.
Anschließend folgen wir einer Empfehlung unseres Freundes Gerd und schwingen durch die sanften Hügel des Südharz nach Stolberg. Dort wird an diesem Wochenende das Lerchenfest gefeiert. Die gesamte Altstadt ist mit Buden zugestellt. Es wird musiziert und an jeder Ecke gibt es Speis und Trank. Einige Lokalgrößen, wie etwa der örtliche Metzgermeister, schlüpfen in historische Rollen und geben Wissenswertes über Stolberg zum Besten. Anschließend heizen die Auerberger Zipfelklatscher (oder so ähnlich) der Meute mit ihren Schifferklavieren mächtig ein. Im Dreivierteltakt hypnotisieren sie die Senioren, die sich wie in Trance hin und her wiegen. Nach einiger Zeit wird mir von dem Spektakel ganz blümerant. Am Ende des Gigs wird die Kapelle frenetisch bejubelt wie sonst nur Tokio Hotel. Ich bete, dass die Fans hier nicht auch Unterwäsche auf die Bühne werfen. Der Anblick eines fleischfarbenen Schlüpfers mit den Ausmaßen eines Beduinenzelts wäre das Ende für meinen sensiblen Magen. Als ein anderer Barde die Bühne betritt und den "Popelsong" anstimmt (das ist KEIN Scherz!) stürze ich meinen Eiskaffee hinunter und wir brechen auf zum Hotel, um uns am Pool von den Strapazen zu erholen.
Während Neringa sich föhnt und fürs Abendessen zurecht macht, schnüre ich die Turnschuhe und erklimme den Wanderweg zur Josephshöhe. Dort steht das Josephskreuz, das mit 38 Metern Höhe und einem Gewicht von 125 Tonnen größte eiserne Doppelkreuz der Welt. Als ich hechelnd oben ankomme, kann ich kaum die Kamera ruhig halten. Die Treppe, die über 200 Stufen zur Aussichtsplattform führt, ist zum Glück schon geschlossen, so dass ich mir keine fadenscheinigen Ausreden einfallen lassen muss, warum ich ohne Fotos von da oben zurückkomme.
Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne, die sich links und rechts an den Vorhängen vorbei ins Zimmer presst. Wir nehmen ein ausgiebiges Frühstück zu uns, das nahtlos ins Mittagessen übergeht. "Brönsch" nennt man das hier in Sachsen-Anhalt. Anschließend geht es über kurvige Landsträßchen wieder gen Heimat. Unterwegs berührt meine linke Hand kaum den Lenker, weil permanent andere Motorradfahrer entgegenkommen, die freundlich grüßen, und denen ich natürlich artig zurück winke. Von Euch war doch bestimmt auch jemand da, oder?!