Hochzeitsreise (Italien / Frankreich 2013)

 

Die Ehe ist und bleibt die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann".

(Sören Kierkegaard)

 

30. Mai
 
Der diesjährige Frühling ist der kälteste seit 40 Jahren, wissen Meteorologen im Internet zu berichten. Je nach Region gab es teilweise bis zu 80% mehr Niederschlag als im Durchschnitt. Das mag wohl sein, jedenfalls kann ich mich an kein schlechteres Jahr erinnern. Unsere Motorräder stehen sich in der Garage die Reifen platt. Abgesehen von einer kurzen Winterflucht nach Mallorca haben wir bislang noch nicht viel Zeit im Sattel verbracht. Das soll sich morgen ädern. Nach unserer Hochzeit wollen wir die GS besteigen und uns die Emilia Romagna, die Toskana, die Côte d'Azur und die Provence ansehen. Leider musste ich gestern noch kurzfristig meine Kreditkarte sperren lassen, weil irgendwer damit online eingekauft hat. Ersatz ist vor der Abreise nicht mehr zu beschaffen. Mal schauen, wie weit wir ohne Kreditkarte kommen, zumal sämtliche Hotels für unsere Reise mit meiner nunmehr ungültigen MasterCard reserviert wurden...

 

31. Mai

 

Heute wird geheiratet! Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Als wir die Rollläden hochziehen, bietet sich uns ein Bild des Schreckens: stürmische Böen peitschen den Regen horizontal durch die Straßen, Passanten kämpfen verzweifelt mit ihren Schirmen, die von der Luft immer wieder auf links gekrempelt werden. Bei einem kargen Frühstück hören wir im Radio, wie sich die Hochwasserwarnungen für den Süden und Osten der Republik  überschlagen.

 

Unser iranischer Taxifahrer sagt, dass es in seinem Land ein Sprichwort gibt, wonach Regen am Tag der Hochzeit Glück bringt. Mann, werden wir Glück haben! Zuvor müssen wir allerdings noch eine unfreiwillige Stadtrundfahrt machen, weil die Blockupy-Aktivisten Frankfurt an diesem Wochenende fest im Griff haben und die Polizei mit Hundertschaften u.a. die Zufahrt zum Standesamt gesperrt hat. Als Letzte treffen wir dann doch noch rechtzeitig zu unserer Trauung ein. Wir heiraten standesgemäß in unseren Motorradkombis. Nach einer angenehm kitschfreien Zeremonie, dem obligatorischen Gruppenfoto und einem deftigen Brunch geht es endlich auf die Autobahn Richtung Süden. Erstmals in unserer Motorradlaufbahn müssen wir bereits zuhause in Regenkombis losfahren. Ein weiteres Novum: Zum ersten Mal in meinem Leben trage ich einen Ring. Ich bin erleichtert, dass er in den Motorradhandschuh passt und eigentlich kaum zu spüren ist.

 

Die Nacht werden wir in Stuttgart verbringen. Wir sehen uns ein wenig die Innenstadt an und lassen anschließend den Tag im Steakhouse ausklingen.



Hochzeit im Kreise der Familie

1. Juni

Meteorologischer Sommeranfang. Davon ist bei einstelligen Temperaturen allerdings nichts zu spüren. Von 10 Uhr in Stuttgart bis 18 Uhr in Innsbruck hört es keine Sekunde auf zu regnen. Von der wunderbaren Berglandschaft um Garmisch sehen wir nichts. Stellenweise bin ich schon froh, wenn ich die Fahrspur erkenne und die anderen Verkehrsteilnehmer uns sehen. Völlig entnervt und durchgefroren kommen wir am Hotel an. Kurzum: ein Tag zum Abgewöhnen. Linderung verschafft ein fantastisches Wienerschnitzel. Wir sehen uns noch das Pokalfinale in der Glotze an, bei dem die Bayern sich zum Triple zittern, fönen unsere Klamotten trocken, und fallen anschließend todmüde ins Bett.

 

2. Juni

Am nächsten Morgen regnet es ohne Unterlass weiter. Widerwillig machen wir uns auf den Weg gen Süden. Doch kaum sind wir über den Brenner, wird der Regen weniger und hört bald auch ganz auf. Es wird schlagartig warm, die Regenpellen wandern in den Packsack und wir öffnen die Belüftungsreissverschlüsse an unseren Kombis.

Rechtzeitig zum Start des MotoGP im benachbarten Misano kommen wir in unserem Hotel in Verona an. Valentino Rossi wird bereits in der ersten Runde von Alvaro Bautista abgeräumt und fällt aus. Wenn wir morgen nach Tavullia kommen, werden wir mal schauen, ob er zuhause ist und wie er den Ausfall verdaut hat.

Bis abends erkunden wir zu Fuß die Altstadt, die zum UNESCO Weltkulturerbe zählt, und bringen die Speicherkarte unserer Kamera zum Glühen. Beim Erklimmen der Stufen der Arena schießt das Laktat in unsere Oberschenkel und uns wird schmerzlich bewusst, was für Sesselfurzer wir doch geworden sind.

 

Unsere Vorfreude auf authentische italienische Pasta wird zunächst einmal herb enttäuscht: statt Fussili à la Mama kriegen wir Matschnudeln à la Mikrowelle. Ich fühle mich in meine Studentenzeit zurückversetzt, als ich kalte Ravioli direkt aus der Dose gelöffelt habe. Da ist für die nächsten Tage noch reichlich Luft nach oben...

Verona
Die Arena von außen...
...und von innen
Die Stufen zu Glanz und Ruhm...
...führten für diesen Gladiator geradewegs ins Verderben
Arche Scaligere
Abenddämmerung
Relaxen am Fluss

3. Juni

Heute geht es durch die sanften Hügel der Emilia Romagna bis in die Marken, genauer: nach Tavullia, die Heimat von Valentino Rossi. In der Stammpizzeria des Dottore essen wir zu Mittag, und bei der Gelegenheit werde ich auch gleich Mitglied im offiziellen Fanclub der Nummer 46. Mit mehreren Kappen, T-Shirts und Aufklebern im Gepäck verlassen wir Tavullia und fahren in die Republik San Marino, die wir uns morgen in Ruhe ansehen werden.

Unsere GS am Ortseingang von Tavullia
Die Mutter aller Rossi-Fanclubs
Der Mitgliedschaftsantrag ist schnell ausgefüllt

4. Juni

In der Altstadt von San Marino hat man einen tollen Blick über die Gegend. Außerdem wirbt die Republik mit tax free Shopping, aber die Einkaufszentren erinnern uns eher an Woolworth's. Dafür gibt es bemerkenswert viele Geschäfte, in denen der Freizeitkrieger sich mit Waffen und Tarnkleidung eindecken kann. Neben Helmen, Nachtsichtgeräten und Kevlarwesten gibt es Replikas verschiedener Schnellfeuerwaffen. Ein Paradies für alle Möchtegern-G.I. Joes.

Mit knurrenden Mägen stehen wir um 18 Uhr vor dem Restaurant unseres Hotels, das allerdings erst um 19.30 Uhr öffnet. Der Chef reibt sich verwundert die Augen angesichts der Tatsache, dass jemand schon um diese Zeit zu Abend essen will. Trotzdem dürfen wir rein und werden mit frischer Pasta und Meeresfrüchten verwöhnt. Nach einem Espresso und einem einheimischen Limonenlikör verabschieden wir uns, noch bevor die "normalen" Gäste kommen.

Ankunft in San Marino
Pallazzo Pubblico
San Marino
Blick von der Altstadt

5.  Juni

Am Rastplatz zwischen Bologna und Florenz umzingeln drei Chinesen (ohne Kontrabass) die GS, sehen sich ohne Scheu alles ganz genau an und beratschlagen vermutlich, wie sie das Motorrad zuhause detailgetreu kopieren können. Es wird lautstark diskutiert und den Gesten kann ich entnehmen, dass die Vor- und Nachteile der aufrechten Sitzposition und der für Chinesen enormen Sitzhöhe abgewogen werden. Ich komme mit einem der Herren ins Gespräch und meine dummen Vorurteile werden gründlich widerlegt. Die Gruppe kommt aus Taiwan und bereist in 20 Tagen halb Europa. Der Herr ist überzeugter Anhänger der bayerischen Autos, hat bereits ein Modell aus den 90er Jahren und außerdem gerade einen brandneuen 5er bestellt.

Der Verkehr in Florenz ist, gelinde gesagt, abenteuerlich. Fahrsprurmarkierungen, Schilder und Ampeln spielen eine untergeordnete Rolle, werden eher als unverbindliche Empfehlungen verstanden. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als das Spiel mitzuspielen. Ich quetsche die gefühlt vier Meter breite, vollbeladene GS in jede sich bietende Lücke, drängele mich vor und spurte mit jaulendem Motor von Ampel zu Ampel.

Da unser Navi die Straße, in der sich unser Hotel befindet, nicht kennt, irren wir planlos umher. Irgendwann kapituliere ich, stelle das Motorrad ab und wir fragen uns zu Fuß durch. Als wir das Hotel endlich finden, wird uns klar, dass wir schon zweimal daran vorbei gefahren sind, ohne es zu merken, und wir uns das Gewühl in der Innenstadt hätten sparen können. In einem sich zusammenbrauenden Gewitter erkunden wir die Sehenswürdigkeiten und machen ein paar Fotos, ehe uns das Unwetter in ein Café zwingt.

In der Heimat der Pizza fühle ich mich verstanden. Das wird nicht auf der ganzen Reise so bleiben...
Florenz - die Kathedrale Santa Maria del Fiore vor dem Gewitter...
...und danach
Tür zum Paradies am Baptisterium
Pallazzo Vecchio

6. Juni

Buongiorno aus Livorno! Die etwa 100 km quer durch die Toskana sitzen wir auf einer Arschbacke ab. Bemerkenswert an der Fahrerei in Italien ist, dass der Spritverbrauch erheblich niedriger ist als bei uns. Das liegt natürlich daran, dass das Tempolimit außerorts bei 90 und auf der Autobahn bei 110 bzw. 130 km/h liegt. Außerdem gibt es auf den mautpflichtigen Straßen viel weniger Verkehr als auf deutschen Autobahnen, weshalb man mit gleichbleibender Geschwindigkeit entspannt zum Ziel Cruisen kann. Bei uns muss man hingegen immer wieder für fehlgeleitete Kleinwagen bremsen, die sich auf die linke Spur verirrt haben, um anschließend wieder hart ans Gas zu gehen, weil man dadurch vermeintlich schneller ankommt.

In Livorno gibt es unzählige Roller, die meisten davon Zweitakter. Es ist laut und quirlig, und die Luft ist abgasgeschwängert. Was bei uns zu Atemnot führt, scheint für die Einheimischen reine Frischluft zu sein, denn sie joggen in dieser Luft, als wären sie an einem Bergsee. Die Umweltzonen in Deutschland sind vielleicht gar keine so schlechte Idee.

Nach dem Abendessen füttert Neringa bei Sonnenuntergang mit Weißbrot die Spatzen an der Strandpromenade. Die Idylle ist perfekt, bis ein großer Hund, der ohne Leine Gassi gehen darf, Neringa das Brot einfach von hinten aus der Hand schnappt. Zum Glück ist er dabei sehr vorsichtig und lutscht das Leckerli mit den Lippen aus Neringas Hand, anstatt zuzubeißen. Als die peinlich berührten Besitzer herbei eilen und den Hund maßregeln, ist dieser sich keiner Schuld bewusst und mimt die Unschuld vom Lande.

Unser Hotel...
...in Livorno
Was wohl ein Bootsführerschein kostet?!
Neben den lauschigen Ecken gibt es auch in Livorno...
...echte Bausünden
An der Strandpromenade

7. Juni

Ruhetag. Wir relaxen in Livorno am Pool auf dem Dach unseres Hotels. Zum ersten Mal in diesem Jahr ziehe ich eine kurze Hose an und strecke meine weißen Stelzen in die Sonne. Das Geheimnis meiner perfekten Bräune habe ich mir von den Engländern abgeguckt: Gleich am ersten Tag muss man sich richtig verbrennen, und das dann an den folgenden Tagen genau so wiederholen. Klappt perfekt! Meine Schienbeine und Knie sind krebsrot, während meine Füße und Oberschenkel dank Shorts und Socken nach wie vor käseweiß sind. Ich bin gespannt, wie es sich morgen anfühlt, wenn die Motorradhose mehrere Stunden an den gereizten Hautpartien scheuert.

Neben halbherzigen Versuchen, meinen Roman zu lesen, unterhalten mich hauptsächlich die riesigen Möwen. Immer wieder kommen sie auf die Sonnenterrasse geflogen, um etwas Fressbares abzustauben oder im Pool zu plantschen. Ab und zu kommt es auch zu lautstarken Auseinandersetzungen um auf den Boden gefallene Pommes oder Brotreste. Und wenn ihnen das zu langweilig wird, geben sie mit ihren Flugkünsten an, kreisen lässig unter Ausnutzung der Thermik am Haus entlang, sehen auf uns herab und lassen auch hin und wieder ihre Verdauungsprodukte auf uns regnen.

Endlich Sommer! Zum ersten Mal in diesem Jahr halte ich meine weißen Stelzen in die Sonne...
...und die Quittung folgt prompt

8. Juni

Bei Bilderbuchwetter machen wir uns auf den Weg in die Haute Provence. Bei etwa 23 Grad Celsius geht es durch die Toskana und Ligurien, und anschließend an der Côte d'Azur entlang. In Monte Carlo machen wir eine Pause, um etwas zu Mittag zu essen. Zwei Cheeseburger sollen es sein. Der nette Ober fragt noch umsichtig, ob wir das Fleisch englisch, medium oder durchgegart wollen. Wie man weiß, lieben Franzosen ihr Steak Tatar roh, was den ausländischen Touristen aber meist nicht so sehr behagt. So geht es auch uns, also "gut durch, bitte!". Und schon wenige Minuten später serviert man uns zwei Fleischklopse, die außen handwarm und innen drin triefend blutig sind.  Meine Sorge, dass das Tier möglicherweise noch leben könnte, stößt bei dem Ober auf Unverständnis. Nun ja, viel Hunger haben wir sowieso nicht. Schließlich hatten wir vor gerade einmal fünfeinhalb Stunden gefrühstückt.

Leicht verärgert geht es weiter an der Küste entlang, direkt in den Samstagnachmittagverkehr in Nizza. Eine halbe Stunde quälendes Stop and Go bringen meine Geduld gefährlich nah an ihre Grenzen, und auch die GS bekommt bei dieser Gangart allmählich heiße Ohren. Umso schöner ist es dann, als wir ins Landesinnere abbiegen und uns in die Berge hinaufschwingen. Sattgründe Wälder spenden Frische und die klare Luft lässt uns befreit aufatmen. Wir bleiben für zwei Nächte in dem kleinen Örtchen Le Bar Sur Loup, das wenige Kilometer nördlich von Grasse gelegen ist.

An unser Hotel ist ein Restaurant angeschlossen. Was liegt da näher, als für den Abend einen Tisch zu reservieren? Erst als wir die Getränke bereits bestellt haben, wird uns klar, dass wir uns in einem waschechten Gourmettempel mit diversen Auszeichungen befinden. Unter 150 Euro wird ein Abendessen (ohne Wein!) hier nicht zu bekommen sein. Auf der Hochzeitsreise kann man sich ruhig einmal etwas gönnen, denkt Ihr? Grundsätzlich richtig. Das Problem ist nur, dass ich in kulinarischer Hinsicht eher simpel gestrickt bin. Ich will Schnitzel, Braten oder Steak, dazu eine Sättigungsbeilage, und zur Not auch etwas Grünzeugs am Tellerrand. Der französischen Molekularküche kann ich dementsprechend überhaupt nichts abgewinnen. Die Speisekarte ist komplett auf Französisch. Da mein Schulfranzösisch nie wirklich brauchbar war, und die Schulzeit im Übrigen auch schon ein paar Lenze zurückliegt, verstehe ich kein Wort. In dem Bestreben, Schlimmeres zu verhindern, frage ich die Inhaberin, ob sie mir etwas Vegetarisches zubereiten kann, zum Beispiel Gnocchi mit Gemüse. Naturellement, pas de Probleme! Und dann nimmt das Unheil seinen Lauf: Unermüdlich werden neue Leckerli aufgefahren, die für mich nicht im Ansatz zu identifizieren sind, und zwar weder äußerlich noch geschmacklich. Das Küchenpersonal übertrifft sich ein ums andere Mal selbst, mit unglaublichem handwerklichen Geschick und nahezu absurdem Aufwand werden Miniaturgerichte kredenzt, die fantastisch aussehen - und nach überhaupt nichts schmecken! Gewürze sind in der gehobenen Küche offenbar verpönt. Oder mein vom Glutamat restlos verdorbener Gaumen ist einfach nicht in der Lage, die feinen Nuancen zu erahnen, die irgendwo in diesen Kreationen schlummern. Ich male mir aus, dass das Küchenpersonal mich beobachtet und sich an meinem Gesichtsausdruck labt, wenn es mich mit immer neuen Grausamkeiten malträtiert: Frittierter Aal-Anus, pürierter Schneckenschniedel, gedünstete Klabusterbeeren. Ganz so schlimm kommt es dann nicht. Ich bekomme ein kleines, rohes Omelette mit Spargelspitzen, dazu zieren vier (!) Gnocchi den Teller. Wenn ich morgen die Scheißerei habe, kann ich noch nicht einmal sagen, ob es die rohen Eier am Abend oder das rohe Fleisch von heute Mittag waren! Als die französischen Rentner am Nebentisch jedoch den gleichen Schmu serviert bekommen wie wir, habe ich wenigstens die Gewissheit, dass man es hier nicht auf mich persönlich abgesehen hat. Eines steht für mich jedenfalls fest: Morgen esse ich in dem amerikanischen Restaurant mit dem goldenen M!

Monte Carlo hat auch seine schönen Seiten. Wir haben sie nur leider nicht gefunden.
Casino
Fürstenresidenz
Die Berge der Haute Provence
In Le Bar sur Loup ist es traumhaft ruhig
Das Auf-und-Ab geht ganz schön in die Beine

9. Juni

Ich will ja nicht schon wieder über das Wetter meckern, aber als wir aufwachen regnet es erneut. Ich will auch nicht meine gestrigen Hetztiraden über das Essen fortsetzen, aber das "Petit Dejeuner" der Franzosen ist wirklich abartig. Pappsüße Stückchen und ein Tässchen schwächlichen Kaffees. Beim Aufstehen räume ich beinahe den gesamten Tisch ab, weil mein Unterarm an der Tischdecke festgeklebt ist.

Wir fahren nach Grasse, um uns die Welthauptstadt des Parfüms anzusehen. Bereits beim Einfahren ins Örtchen nehmen wir die intensiven Düfte wahr, die die Parfümfabriken verströmen. Hier kann man sich auch nach Belieben aus Hunderten von Duftölen sein individuelles Parfüm zusammenstellen lassen. Ich denke da spontan an eine Mischung aus Motorenöl, Tabak und alten Sportsocken. Das könnte ein echtes Männeraroma werden.

In Cannes geraten wir in ein heftiges Gewitter. Wir retten uns gerade noch in ein Café an der Promenade, bevor die Welt unterzugehen scheint. Donnergrollen erfüllt die Luft und immer wieder zucken Blitze ins Meer. Es regnet so stark, dass das Personal keine Lust hat, auf der Terrasse zu bedienen. Erst rund eine halbe Stunde später kommen wir in den Genuss eines Cappuccinos. Anschließend schlendern wir am Wasser entlang und sehen uns im Hafen die teilweise wirklich imposanten Yachten an. Am Palais des Festivals et des Congrès, wo jährlich die Filmfestspiele stattfinden, kann auch Otto Normalbürger einmal über den roten Teppich laufen und sich auf selbigem Fotografieren lassen. Da offenbar jeder seine Liebsten dort ablichten will, stehen ständig etliche Fotografen vor den Stufen, was dem zu Fotografierenden vermutlich wirklich das Gefühl vermittelt, ein Promi zu sein.

 

Cannes erinnert mich ein wenig an Las Vegas: Man stellt sich die Stadt wegen ihres Rufs unheimlich glamourös vor, aber wenn man dann dort ist, ist sie eher fade. Ich habe die Kamera jedenfalls gar nicht erst ausgepackt.

Grasse
Krasse Gasse in Grasse
Filmreifer Weltuntergang in Cannes

10. Juni

Um 6.45 Uhr wachen wir auf, weil die Sonne durch die Vorhänge lugt. Wir nutzen die Gunst der Stunde für einen frühen Aufbruch. Die Inhaberin unseres Hotels hat die drollige Angewohnheit, ihre überbordende Freundlichkeit dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie an jedes Wort, das mit einem i-Laut endet, ein langgezogenes  "ch" hängt. "Coffee-chhhhhh"? "Oui-chhhhhhh". Als ich bezahlt habe und nach draußen stapfe, zwitschert sie mir noch ein fröhliches "Merci-chhhhhh" hinterher.

Nach dem gestrigen Frühstücksdesaster haben wir heute einen anderen Plan: Wir lassen das Frühstück im Hotel aus und suchen uns unterwegs ein McDonalds. Bacon&Egg McMuffins, Cappuccino und Sweet McGriddles, wir kommen! Und schon wenige Kilometer später in Richtung Aix-en-Provence finden wir an einem Rastplatz ein McDonalds. Doch die Enttäuschung in Neringas Augen bricht mir das Herz. Statt deftigem Frühstück, wie wir es von zuhause kennen, bietet McDonalds in Frankreich auch nur ein Petit Dejeuner an, also Croissants und süße Teilchen. Angebot und Nachfrage, sage ich nur. Mein Magen reagiert beleidigt, ist mehrere Stunden lang unentschlossen, in welche Richtung er den klebrigen Mist wieder ausscheiden möchte.

Gegen Mittag kommen wir in unserem Hotel in Avignon an. Es handelt sich um ein altes Kloster, das mit vielen modernen Elementen umgebaut wurde. Alte Mauern, Säulen, Marmor, riesige Bäume im Innenhof, kombiniert mit grauen, schwarzen und weißen Holz- und Metallteilen sowie Glas. Eine spannende Mischung aus Mittelalter und Zukunftsvision.

Innenhof unseres Hotels
Im Treppenhaus: ein Hauch von Gefängnis
Kaiserwetter in Avignon
Pont d'Avignon
Papstpalast
Schattenspiele
Echter Lavendel aus der Provence
Höchstens 8.000 Kalorien
Für lustige Namen sind die Franzosen ja immer gut
Düstere Straßenkunst in Avignon
Meine Frau!

12. Juni

Avignon hat uns gut gefallen. Wir haben uns den Palast der Päpste und den Pont d'Avignon angesehen, gut gegessen, und bei 28 Grad Celsius reichlich geschwitzt. Heute geht es zum letzten Stopp auf dieser Reise in ein winziges Örtchen namens Puligny-Montrachet in der Bourgogne.

Der Ort ist auf meiner Landkarte nicht eingezeichnet, und er ist auch nicht ausgeschildert. Der erste und einzige Hinweis kommt anderthalb Kilometer vor dem Ortsschild. Fast so etwas wie ein Geheimtipp. Hier lebt man wie Gott in Frankreich. Der Ort könnte leicht als Set für einen dieser Hollywoodfilme herhalten, in denen der gestresste, ignorante New Yorker Börsenmakler ein Weingut in Frankreich erbt, es eigentlich sofort verkaufen will, sich dann aber in den Charme der Gegend verliebt und sein altes Leben über den Haufen wirft, um Wein zu Keltern und die Dorfschönheit zu ehelichen. Als wir heute Morgen losgefahren sind, war dieser Tag für mich nur eine Zwischenstation auf dem Weg nachhause, mit 400km Autobahn und einem Bett für eine Nacht. Jetzt ist er der würdige Abschluss einer tollen und abwechslungsreichen Reise. Normalerweise fahren wir an keinen Ort ein zweites Mal. Doch dieses Örtchen könnte an unserer ungeschriebenen Regel tatsächlich etwas ändern...

Einfahrt in Puligny-Montrachet
Unser Hotel "Le Montrachet"
Blick aus unserem Zimmer
Hier kommt der Burgunder her