Fränkische Schweiz 2015

 

„Alles in der Welt ist nur für den da, der Augen hat, es zu sehen.“

 

                                                                                          (Eduard Spranger)

Frohe Ostern!

In den Osterferien wollen wir eine Tour wiederholen, die vor fast vier Jahren buchstäblich ins Wasser gefallen ist. Weil kurz nach der Abfahrt Dauerregen einsetzte, konnten wir von unserem damaligen Kurztrip in die Fränkische Schweiz praktisch keine Bilder mit nachhause bringen. Das soll diesmal anders werden. Am Vorabend führen Gerd und ich eine für uns typische Unterhaltung, die sinngemäß wie folgt lautet:

 

Treffen um 9 Uhr oder um 9:30 Uhr?

9 schaffe ich locker!

Okay. Also von mir aus auch gerne um 8:30 Uhr.

Prima. Die haben im Hotel übrigens schon ab 7 Uhr Frühstück. Dann können wir um 8 Uhr schon wieder auf den Motorrädern sitzen“.

 

Bei uns wird Gemütlichkeit noch groß geschrieben. Das wird auch Neringa schnell klar, weshalb sie gar nicht erst mitfährt. Stattdessen geht sie lieber zur Fußmassage – solch ein neumodischer Unsinn! Der Boxer massiert nicht nur die Füße, sondern auch gleich noch die Seele! Aber mir soll es recht sein, denn weniger Gewicht auf dem Motorrad heißt flottere Gangart.

 

Es ist zwar Ostern, doch das Auf(er)stehen fällt mir ungewohnt schwer. Mit einiger Verspätung treffe ich am Rastplatz auf Gerd, der vermutlich schon 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit dort war, und der sich bester Laune erfreut. Warum auch nicht? Immerhin ist er gerade am Ende eines 10-tägigen Urlaubs. Ich hingegen bin nach einer anstrengenden Arbeitswoche einfach nur am Ende. Ich habe zunächst Mühe, die nötige Konzentration aufzubringen und den Anschluss zu halten, aber mit zunehmender Dauer der Fahrt werde ich warm, der Kopf wird durchgelüftet und ich komme so richtig in den „Flow“. Hinter Aschaffenburg biegen wir auf die Landstraße ab, um in einem weiten Bogen über Lohr, Karlstadt, Werneck, Haßfurt, Königsberg, Scheßlitz, Waischenfeld und Pottenstein nach Behringersmühle zu fahren, wo wir wie vor vier Jahren im Tagungshotel Behringers übernachten werden.

 

Ob der frühen Stunde bleiben wir zunächst von Verkehrsteilnehmern in Blechdosen verschont, die ja leider häufig dazu neigen, ausgerechnet im Kurvenscheitel unerfreulich breit im Weg zu stehen. Nach einem beschwingten Kurventanz kann uns nur der kleine Hunger ausbremsen. Den stillen wir aber nicht etwa mit Milchreis, sondern mit etwas Deftigem aus der Metzgerei am Markplatz in Königsberg. Königsberg in Bayern bezeichnet sich in seinem Internetauftritt selbst als eine „romantische Kleinstadt wie aus dem Bilderbuch — ein Fachwerk–Ensemble von europäischem Rang, das vom großen Touristenstrom bisher noch verschont wurde“. Mal sehen, ob das so bleibt, nachdem Ihr das hier gelesen habt... Mit unseren Wurststullen schlendern wir durch die Gassen, sehen uns die bunten, hübsch renovierten Häuser an und staunen, wie in dieser Stadt „Wegerich und Krähenfuß noch aus alten Pflasterfugen sprießen dürfen“. Ich frage mich, was ein gewiefter PR-Berater wohl für Frankfurt texten würde, um aus einer Not eine Tugend zu machen: „In unserer offenherzigen Metropole am Main muss niemand frieren, denn mehrmals im Jahr kann man sich in der Innenstadt an brennenden Polizeiautos wärmen. Bei uns begegnen Sie hilfsbereiten Menschen, die gerne Ihre Brieftasche und Ihren Schmuck für Sie verwahren“.  

Österlich dekorierter Marktplatz in Königsberg
Klingelingeling, hier kommt der Eiermann!
Prüdes Bayern? Weit gefehlt! Hier gibt es Quickies beim Metzger!
Björn bei der Arbeit

Wir schießen noch ein paar alberne Fotos und nehmen anschließend wieder den griffigen Asphalt unter die Räder. Schon etwa anderthalb Stunden später kehren wir für ein üppiges Fressgelage im Gasthof der traditionsreichen Familienbrauerei Krug Bräu in Breitenlesau ein. Krug Bräu ist offenbar Gerds Lieblingsbier. Jedenfalls kennt seine kindliche Freude keine Grenzen und wird sogar noch dadurch gesteigert, dass er hier für gerade einmal 6,70 Euro ein Schnitzel bekommt, das so groß ist, dass es unmöglich von nur einem Schwein stammen kann.

Durch den finsteren Wald
Gerd in seinem natürlichen Habitat
Eine Frage des Maßstabs: Das ist nicht etwa ein kleiner Teller, sondern ein richtig großes Schnitzel!

Das Wetter verschlechtert sich zusehends. Der blaue Himmel verfinstert sich und ein kühler Wind zieht auf. Damit ich nicht wieder ohne Fotos nachhause komme, geht es nach der Sause im Schweinsgalopp zur Burg Veldenstein bei Neuhaus an der Pegnitz, und von dort nach Gößweinstein, wo wir uns die imposante Basilika ansehen. Einer Broschüre entnehme ich, dass es sich um den größten Dreifaltigkeitswallfahrtsort Deutschlands handelt. Um das nachzuprüfen, fehlen mir die Fakten und der religiöse Hintergrund. Ich kann aber bestätigen, dass zumindest heute viele – sehr viele – Wallfahrer in Bussen herangekarrt werden, die so in ihren Zwiegesprächen mit IHM versunken sind, dass sie gar nicht bemerken, wie sie mir vor die Linse oder über die Füße laufen.

 

Wie überall in Bayern ist das Sakrale allgegenwärtig: Hier ein Heiligenbild, dort ein Kruzifix oder eine Heiligenbüste. Doch heute hat die an sich liebliche Fränkische Schweiz mit ihren von Regen und Erosion rund geschliffenen Felsformationen, ihren sanften Hügeln und Tälern, Wiesen und Wäldern durch die bedrohliche schwarze Wolkenkulisse etwas Morbides, was durch die religiösen Symbole noch verstärkt wird. Es liegt ordentlich Spannung in der Luft, doch meiner neuen Textilkombi bleibt ihre Bikertaufe (vorerst) erspart. Denn nach 362 Kilometern im Sattel ziehen wir uns ins Hotel zurück, um einer unfreiwilligen Motorradwäsche zu entgehen. Abends gibt es ortstypisch etwas Herzhaftes und Gerd vertilgt sein Gewicht in Bier. Wir sind heute überraschenderweise beinahe die einzigen Gäste, und die wenigen anderen sitzen übers ganze Restaurant verteilt, sodass es nicht weiter unangenehm auffällt, dass unsere von geistigen Getränken geprägte Unterhaltung immer lauter und ausschweifender wird, bis wir irgendwann völlig erschöpft aber zufrieden ins Bett fallen.

Burg Veldenstein
Burg Veldenstein
Basilika in Gößweinstein
Das Ziel der Wallfahrer
Decke der Basilika
Das Sakrale ist allgegenwärtig
Der Himmel verfinstert sich
Burg in Gößweinstein - man beachte die Sektorantennen auf dem Turm!
Besuch auf Golgotha
Behringers - das Ende der Durststrecke