Herbstausfahrt 2.0
„Das wichtigste Stück des Reisegepäcks ist und bleibt ein fröhliches Herz."
(Hermann Löns)
Statt Anfang November Trübsal zu blasen, wie so mancher Saisonkennzeichenbesitzer, packen Gerd und ich unsere fröhlichen Herzen und (jeweils!) einen frischen Schlüpfer ins Reisegepäck, satteln die Tiger und fahren gen Nordosten, um eine Nacht in Mühlhausen/Thüringen zu verbringen. Nach etwa einer Stunde Fahrt und vielen Höhenmetern lassen wir das schlechte Wetter in und um Frankfurt hinter uns, brechen durch die Wand aus Frühnebel und fahren hinein ins gleißende Sonnenlicht auf dem Hohen Meißner. Bei einem kurzen Fotostopp am Frau-Holle-Teich besuchen wir Frau Holle, bevor sie in wenigen Wochen bei uns vorbeischaut. Die hölzerne Statue wurde 2004 aufgestellt und zeigt entgegen den Erzählungen eine junge Frau Holle, die ihre Kissen ausschüttelt. Laut Wikipedia sorgte die Statue seinerzeit für Furore, weil Frau Holle eine recht imposante Oberweite hat. Dies war einigen Besuchern wohl zu anrüchig, sodass sich letztlich gar die Frauenbeauftragte des Werra-Meißner-Kreises mit der Angelegenheit befassen musste. Unglaublich – als ob jemand zu viel Busen haben könnte!
Die kleinen Landstraßen haben alles zu bieten, wovor wir damals in der Fahrschule gewarnt wurden: Feuchte Kurven, Dreck, nasses Laub, und quälend langsame Landmaschinen hinter nicht einsehbaren Kehren. Immer wieder müssen wir die Motorräder regelrecht um die Ecken tragen, um nicht Bekanntschaft mit dem Straßengraben zu machen. Wir sind ausgehungert, als wir in Bornhagen ankommen, wo wir für ein kleines Mittagsmahl im Klausenhof einkehren. Wir wollen nicht zu schwer essen, um kein Fresskoma zu riskieren. Daher gibt es Mett mit Zwiebeln, Schmand und sauren Gurken auf Landbrot. Da meine Frau und ihr mahnender Zeigefinger diesmal zuhause geblieben sind, kann ich nach Herzenslust schlingen und brauche fast gar nicht zu kauen. Es schmeckt mir ganz vorzüglich, doch die anschließenden Bäuerchen im Helm vernebeln mir die Sinne. Ich muss ständig lüften, um nicht ohnmächtig zu werden.
Immer wieder überqueren wir die ehemalige innerdeutsche Grenze und sehen Relikte aus jener Zeit, als unser schönes Land noch gespalten war. Bei einem Stopp in Wanfried am historischen Werra-Hafen kann ich Gerd überreden, sich in dem nach dem Mauerfall übrig gebliebenen Wachhäuschen zu postieren. Doch ganz egal, wie er sich dreht und wendet, das Häuschen ist einfach zu klein für ihn und er lässt in dem Puppenhaus jegliche Autorität vermissen.
Anschließend geht es nach Mühlhausen, wo wir übernachten werden. Die Kreisstadt des Unstrut-Hainich-Kreises im Nordwesten Thüringens hat etwa 33.000 Einwohner und einen gut erhaltenen mittelalterlichen Altstadtkern. Hier kann man die Stadtmauer mit dem Frauentor und schön erhaltene bzw. restaurierte Fachwerkhäuser bewundern. Auch spektakuläre Kirchen gibt es, u.a. die Divi Blasii Kirche, in der Johann Sebastian Bach im Jahre 1707 als Organist tätig war. Zum Sonnenuntergang steigen wir noch auf den Stadtberg, wo der Mühlhäuser Löwe wacht, und machen die letzten Fotos des Tages.
Nach einer zünftigen Thüringer Rostbratwurst mit Sauerkraut geht es dann in die Hotelbar, wo heute zahlreiche Gäste aus dem Umland zur großen Halloween Party erwartet werden. Gerd und ich staunen nicht schlecht, was die Besucher so alles an Kostümen auffahren. Den Schwerpunkt bilden dabei Frisuren, Kleidungsstücke und Accessoires aus den 70ern und 80ern. Sehr beliebt ist offenbar Oberbekleidung, auf der „LOVE“ geschrieben steht, und hier und da sieht man auch Peace Zeichen aus Strasssteinchen oder glänzendem Garn. Erst nach und nach dämmert uns, dass wir hier keine Kostüme sehen, sondern die ortsübliche Ausgehgarnitur für einen Samstagabend. Über der Tanzfläche dreht sich eine funkelnde Discokugel und direkt neben der Tanzfläche wird ein kaltes Büffet aufgebaut, das später vom Schweiß der Tanzenden gewürzt wird. Die Musik wummert in einer ca. 60 Minuten langen Endlosschleife aus den Boxen. Ich weiß, dass es genug ist, als Helene Fischer bereits zum dritten Mal ihre nächtliche Kurzatmigkeit besingt, und verabschiede mich ins Bett. Denn schon morgen früh geht es wieder auf die Bahn!