Polen / Baltikum / Helsinki 2012

 

Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum“.

   (unbekannt)

 

Wir planen unsere Tour durch Polen und das Baltikum nach Finnland seit rund einem Jahr. Da bleibt reichlich Raum für Irrtümer. Die Vorzeichen für unsere Reise sind nicht die besten: Der Sommer hat noch nicht mitbekommen, dass er sowohl nach kalendarischer als auch meteorologischer Interpretation bereits auf seinen Höhepunkt zusteuert. Es ist zu kalt und zu nass, und in Polen ziehen Stürme eine Schneise der Verwüstung durchs Land. Eine Woche vor der Abreise ereilt uns dann auch noch die Hiobsbotschaft von Gerds Ducati Werkstatt: Die Multistrada, die eigentlich nur eine Inspektion bekommen sollte, hat einen Riss im Zylinderkopf. Die Ersatzteile seien bestellt, aber wann sie eintreffen und ob der Einbau noch rechtzeitig klappt, steht in den Sternen. Während ich ein Wechselbad der Gefühle durchlaufe und bei mir noch gar keine rechte Vorfreude auf den Urlaub aufkommen will, ist Gerd bester Laune. Mein Pessimismus ist wohl eine Berufskrankheit. Erst als ich an meinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub nach Hause komme, wird mir klar, dass nunmehr rund zwei Wochen selbstbestimmte Zeit vor uns liegen. Kein Anzug, keine Termine, erst wieder rasieren, wenn das Jucken stärker wird als die Bequemlichkeit, und 3.000 Kilometer auf dem Motorrad! Und auch die Multistrada wird am Abend vor der Abreise an einen erleichterten, aber doch skeptischen Gerd übergeben. Morgen um 10 Uhr geht es also wie geplant los!

 

18. Juli 2012

Da Neringa noch arbeiten muss, fliegt sie in ein paar Tagen direkt nach Vilnius, Litauen, wo wir sie später aufsammeln, während Gerd und ich uns auf eigener Achse auf den Weg zu unserem ersten Etappenziel in Lüchow im Wendland machen. Mit einigen Kilometern Abstand fahren wir hinter einer Regenfront her, sodass die Straßen zwar größtenteils nass sind, wir selbst aber trocken bleiben. Trotz der angenehm milden Temperaturen fängt die feurige Italienerin bald an zu kochen. Das Kühlwasser der Ducati wird viel zu schnell viel zu heiß und der hintere Zylinder mutiert zum Eierkocher. Also steuern wir den Ducati Händler in Wolfsburg an in der Hoffnung, dass er von diesem Problem nicht zum ersten Mal hört. Doch leider kann auch er den Fehler nicht finden. Die Lüfter gehen an, das Kühlwasser zirkuliert ordnungsgemäß. Also fahren wir mit einem mulmigen Gefühl weiter und erreichen ohne weitere außerplanmäßige Stopps nach rund 450 km Lüchow. Das beschauliche Städtchen im Wendland mit gerade einmal 10.000 Einwohnern hat neben ein paar Castor-Gegnern und dem alten Marktplatz noch das 2011 eröffnete Rolling Stones Museum zu bieten, das jede Menge Devotionalien rund um die ausgestreckte Zunge bereit hält. Nach einem herzhaften Abendessen beobachten wir bei einem Feierabendbier, wie die Sonne hinter unseren im Hotelhof geparkten Motorrädern untergeht.

Vor dem Rolling Stones Museum in Lüchow...
...hatten wir noch gute Laune.

19. Juli 2012

Heute ist Neringas Geburtstag. Den sie leider ohne mich verbringen muss. Denn Gerd und ich stehen in Lüchow im Regen. Als Gerd die Ducati anlässt, gibt diese über das Display unmissverständlich zu verstehen, dass die Reise für sie und für Gerd hier endet. Das System meldet ein Problem mit der Auspuffklappe, vermutlich ein Folgeschaden der gestrigen Überhitzung. Während Gerd mit säuerlicher Miene Richtung Heimat abbiegt, geht es für die GS und mich weiter zum Überseehafen in Rostock. Nach kurzer Zeit wird der Regen immer stärker und ich frage mich, warum ich eigentlich nicht die Regenpelle übergezogen habe. Dafür ist es jetzt wohl zu spät, da ich schon klatschnass bin. Also Arschbacken zusammen petzen und durch. Ohne anzuhalten und ohne zurückzublicken lege ich die gerade einmal 200 km zurück, mache nur einen kurzen Abstecher nach Quickborn, um zu gucken, ob Mike Krüger daheim ist, und stehe als erster Motorradfahrer in der Warteschlange für die Fähre nach Gdynia in Polen. Gute zwei Stunden zu früh. Also erst einmal lecker indisch Essen: Currywurst! Anschließend lerne ich unter den wartenden Bikern ein finnisches Paar kennen, das erstaunlich gut Deutsch spricht, sowie eine österreichische Familie, die mit einer KTM und einer BMW unterwegs nach Finnland ist, und die auch ganz passabel Deutsch spricht. Langweilig wird mir also nicht.

Während ich diese Zeilen schreibe, legt die Fähre gerade ab und die Industrieauswüchse von Rostock ziehen an mir vorbei. Gerd ist zwischenzeitlich bei Ducati am Bad Homburger Kreuz angekommen, damit man sich dort erneut an der Fehlerbehebung versuchen kann.

 

20. Juli 2012

Aus Angst, dass ich verschlafe und nicht von der Fähre herunter komme, ehe sie nach Helsinki weiter fährt, wache ich schon kurz nach fünf Uhr auf. Der Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Es regnet Bindfäden und eine tiefschwarze Wolkenfront liegt über der polnischen Küste.

 

Nach einem fettigen Frühstück und mit gefühlten zwei Litern eines kaffeeähnlichen  Heißgetränks im Bauch rolle ich gegen acht Uhr in Gdynia auf polnischen Boden. Mittlerweile hat das Wetter gedreht und mit den Temperaturen steigt auch meine  Stimmung. Einen Teil der rund 300 km bis zur Pension in Talty lege ich auf  Schnellstraßen zurück und die Kilometer purzeln nur so. Als ich mich später jedoch durchs polnische Hinterland schlage, sinkt der Schnitt rapide. Hinter jedem LKW bilden sich rasch lange Schlangen, und immer wieder stoßen PKW viel zu optimistisch in den Gegenverkehr, um sich irgendwie vorbei zu zwängen. Da kommen mir die Abmessungen und das Leistungsgewicht eines Einspurfahrzeugs entgegen. Ein kurzer Gasstoß und die LKW verschwinden im Rückspiegel.

 

Polen hat übrigens nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung die höchste Tankstellendichte nach den Vereinigten Arabischen Emiraten. Alle paar hundert Meter gibt es am Wegesrand Sprit. Das Risiko, mit trockenem Tank liegen zu bleiben, ist auf einer französischen Autobahn deutlich höher als im polnischen Niemandsland. Aber die Landstraßen sind teilweise abenteuerlich. Verschmutzungen von Baustellenfahrzeugen wechseln sich mit mehrere Zentimeter hohen Querfugen ab. Immer wieder höre ich das iPad im Alukoffer hin und her springen wie eine Flipperkugel.

Pension in Talty, Polen
Polen hat nicht nur mein Herz erobert, sondern auch meinen Magen
Sonnenuntergang am See

21. Juli 2012

Masuren ist wirklich ein herrlicher Landstrich. Sanfte Hügel, Wiesen mit bunten  Wildblumen, nistende Störche, und jede Menge Seen und Tümpelchen. Über  Rumpelpisten quäle ich die GS Richtung Norden. Erst als ich aus Angst um meine  Plomben das Fahrwerk auf leichtes Gelände einstelle, läuft die Sache flüssig. Mit 80 km/h bügelt die BMW alle Unebenheiten aus der Straße, die in Deutschland wohl eher als Forstweg durchgehen würde. Bei einem kurzen Fotostopp in Ryn sehe ich mir eine Burg von 1377 an. Sie wurde seinerzeit als Sitz der deutschen Ordensritter erbaut. Während das Gebäude im 19. Jahrhundert als Gefängnis genutzt wurde, beherbergt es heute ein auf Massentourismus ausgerichtetes Hotel; es hat sich also eigentlich kaum etwas geändert.

 

Weiter geht es zur Wolfsschanze. Von dieser Bunkerstadt aus wollte Hitler seinen Feldzug gegen die Sowjetunion starten. Hier scheiterte auch das Attentat auf Hitler durch Oberst von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Ich nehme den Weg über Kwiedzina, der laut Karte der kürzeste ist, und lande auf einer lehmigen Holperpiste mit zahlreichen tiefen Pfützen. Im Stehen stuckere und rutsche ich die ca. fünf Kilometer bis zur Wolfsschanze. Zweige peitschen mir durch das geöffnete Visier ins Gesicht und der Schlamm spritzt mir bis unter die Achseln. Als ich endlich auf den Parkplatz rolle, bin ich nass geschwitzt und völlig ausgepumpt. Ich muss erst einmal schnaufend neben der GS Platz nehmen, ehe ich mich mit brennenden Oberschenkeln zu Fuß auf Erkundungstour begeben kann. Dass es wohl auch einen einfacheren Weg hierher geben muss, beweisen die blitzsaubere Ducati Monster und ein japanischer Cruiser, die ebenfalls auf dem Parkplatz stehen. Vielleicht sollte ich auf dem Rückweg einmal die andere Richtung ausprobieren...

 

Der Fußweg über das Bunkergelände ist teilweise etwas unübersichtlich. Als mir eine ganze Weile keine anderen Besucher begegnen, kann ich nicht ausschließen, dass ich mich verlaufen haben könnte. Wer meinen Orientierungssinn kennt, weiß  was ich meine. Bilder aus dem Film "Blair Witch Project" laufen vor meinem geistigen Auge ab, bis ich von einer ankommenden Gruppe Pfadfinder erlöst werde. Die Polen haben die hier noch allgegenwärtige dunkle Vergangenheit auf kapitalistische Art und Weise bewältigt. Für ein paar Zloty kann man sich in einer Wehrmachtsuniform und mit einem Sturmgewehr bewaffnet fotografieren lassen oder Devotionalien aus dem Dritten Reich mit nachhause nehmen. Wer sich selbst ein Bild davon machen möchte, dem sei die tadellose Straße über Czerniki
empfohlen...

Burg Ryn
Die GS in ihrem natürlichen Habitat
Wolfsschanze
Das Betreten der Ruinen ist wegen Einsturzgefahr verboten
Abseits der markierten Pfade liegen noch reichlich Minen und Blindgänger

22. Juli 2012

 

Heute geht es über 320 km nach Vilnius, Litauen, wo ich endlich Neringa treffe. Neringa ist in Litauen aufgewachsen und hat die letzten paar Tage mit ihrem Vater und ihren Tanten und Cousinen verbracht, die sie seit etwa zehn Jahren nicht gesehen hat. Der Boxer schnurrt und ich nutze den letzten soziafreien Tag, um noch einmal ein paar unbefestigte Pisten unter die Räder zu nehmen, die es in Litauen zwischen den kleinen Dörfern gelegentlich noch zu entdecken gibt. Mit rund 80 km/h lasse ich den Schotter spritzen, ehe ich in Vilnius einrolle. Die Hauptstadt Litauens hat etwa 550.000 Einwohner. Die Architektur bietet eine interessante Mischung aus sozialistischen Zweckbauten, modernem Kommerz und einer wunderschönen Altstadt, die zum Unesco Weltkulturerbe zählt.

Vilnius von oben
König Gediminas...
...und seine bescheidene Behausung
Kathedrale von Vilnius
Gothisches Ensemble
Katharinenkirche
Torbogen in Vilnius

23. Juli 2012



Für heute und morgen steht Riga auf dem Programm. Die Strecke von Vilnius nach Riga beträgt rund 300 km und erinnert mich stark an Skandinavien: Gut ausgebaute, breite Straßen, wenig Verkehr, aber niedrige Tempolimits. Und immer wieder steht die Polizei am Straßenrand und wartet auf besonders eilige Kundschaft. Mehr als einmal warnen mich freundliche Verkehrsteilnehmer per Lichthupe vor nahenden Kontrollen und ersparen mir so eine Konfrontation mit der Obrigkeit und die damit einhergehende Schmälerung der Reisekasse. Allerdings leidet die Konzentration erheblich darunter, dass die Straße großenteils einfach schnurstracks geradeaus Richtung Horizont führt. Das ist ein krasses Kontrastprogramm zur gestrigen Tour durch Polen über die Route 16, die mit ihrem auf und ab, ihren Kurven und der wechselhaften Qualität des Straßenbelags viel fordernder, aber eben auch anregender war.

 

Riga ist okay, haut mich aber nicht um. Auch hier zählt die Altstadt zum Unesco Weltkulturerbe, aber im direkten Vergleich hat mir Vilnius besser gefallen. Dort schien mir die Lebensqualität höher. Riga wirkt dagegen ziemlich beengt und stärker von Touristen "heimgesucht" - wozu wir natürlich ebenfalls unseren Beitrag leisten. Dass man in den Touristenzentren ausgenommen wird, wie eine Weihnachtsgans, ist nicht ungewöhnlich. Aber dass eine einfachste Pizza in der Altstadt teurer ist, als ein hochkarätiges 2-Gänge Menü im 4 Sterne Hotel, ist schon überraschend.

Die Bremer Stadtmusikanten in Riga - ein Geschenk mit Symbolkraft, denn die Vier blicken hinter den eisernen Vorhang
Kirche in Riga
Altstadt von Riga
Bei den Auditions für "Lettland sucht den Superstar" begeistern diese drei Sirenen mit bezaubernden mehrstimmigen Gesängen
Am Strand von Jurmala - das Seebad ist fest in russischer Hand

25. Juli 2012

Nach zwei Tagen verlassen wir das laute und hektische Riga. Wir brauchen eine Weile, bis wir dem stinkenden Berufsverkehr entkommen. Feinstaub ist hier kein Thema. Was aus den Auspuffen kommt, sind vielmehr grobe Brocken. Mit den Letten bin ich einfach nicht warm geworden. Ihre distanzierte Art ist für uns etwas
befremdlich. Wenn man etwa in einem Einkaufszentrum die Tür für jemanden aufhält, bekommt man keinen Dank, kein Nicken oder Lächeln. Man wird vielmehr fragend angesehen, fast so, als erwarte der andere, dass man ihm gleich die Tür in die Fresse haut. Und wer über die "Servicewüste Deutschland" schimpft, der war noch nicht in Riga. So kann es schon einmal passieren, dass man rund 15 Minuten nach der Bestellung eine Flasche Cola gebracht bekommt, auf der sich noch der Kronkorken befindet. Dann folgt einige Minuten später ein Glas mit dem Hinweis, der Flaschenöffner komme auch bald. Dieser lässt sich dann aber natürlich auch noch einmal ein paar Minuten Zeit. An so etwas stört man sich vermutlich nur, wenn man vorher mehrere Stunden in der Hitze auf dem Motorrad gesessen hat.

 

Da gefällt uns Estland schon viel besser. Immer an der Küste entlang fahren wir durch duftende Wälder nach Norden. In Pärnu essen wir in einem armenischen Restaurant leckeres Hähnchenschaschlik und bekommen anschließend einen korrekten Espresso. Danach geht es in Virtsu auf die Fähre zur größten estnischen Insel Saaremaa. Das Schiff fährt genau so lange, wie man für einen Cappuccino und einmal Pipi braucht. Etwas schwieriger gestaltet sich dann jedoch die Suche nach unserem Hotel. Denn das Örtchen Mändjala kennt weder unser Navi, noch ist es auf unserer Karte eingezeichnet. Das Angebotsblatt eines Supermarkts in der Hauptstadt Kuressaare hilft uns weiter, denn es enthält eine detailliertere Karte der Insel. Mändjala ist der entlegenste Ort, den wir je mit dem Motorrad besucht haben, sogar noch vor Offenbach und dem Hunsrück. Wer auf der Flucht vor seinen Gläubigern ist oder vielleicht einfach nur in Ruhe seine Memoiren schreiben möchte, ist hier genau richtig. Über Holzplanken führt ein schmaler Fußweg von unserem Hotel direkt in die Dünen, wo wir die Meeresluft genießen und den Tag ausklingen lassen.

Weit und breit kein Verkehr
Mittagessen in Pärnu
Saaremaa

26. Juli 2012



Auf nach Tallinn! Bei Kaiserwetter treiben wir die GS quer durchs Land und hinein in die Hauptstadt Estlands. Etwa die Hälfte der ca. 200 Mückenstiche, die ich mir gestern auf Saaremaa im Wald zugezogen habe, befinden sich an Stellen, an denen die Motorradkluft scheuert. Mein Mitleid mit den Fliegen, die in sämtlichen Farben des Regenbogens auf meinem Visier zerplatzen, hält sich daher in Grenzen. Unser Hotel in Tallinn liegt direkt am Hafen, sodass wir morgen früh praktisch nur noch auf die Fähre nach Helsinki rollen müssen. Bis dahin sehen wir uns die bezaubernde Altstadt an. Mittelalterfans kommen hier voll auf ihre Kosten: An jeder Ecke findet sich lebendige Geschichte, von der alten Stadtmauer über die Siegessäule für den estnischen Freiheitskrieg zu teilweise spektakulären Kirchen, deren goldene Verzierungen mit der Nachmittagssonne um die Wette strahlen. Eine Kontorsionistin verbiegt sich nach allen Regeln der Kunst, und mittelalterlich gewandete Damen und Herren bringen jedem Zahlungswilligen Bogenschießen bei. Als wir mitansehen, wie eine blondierte Touristin in den besten Jahren mit der Waffe in Händen zu einer Gefahr für sich und andere wird, suchen wir schleunigst das Weite. Den Tag beschließen wir bei Pasta und Kaltgetränken am Hafen.

Auf Schotterwegen geht es durch Estland
Marktplatz von Tallinn
Neringa vor der orthodoxen Kirche
In Estland ist man recht flexibel
Siegessäule für den estnischen Freiheitskrieg
Mittelalterliche Wehranlage

27. Juli 2012



Deutsche reisen gerne, und das ist gut so. Insbesondere deutsche Rentner sind zumeist finanziell abgesichert und nutzen ihre grenzenlose Freizeit, um sich fremde Länder anzusehen. Auch das ist selbstverständlich okay. Der Spaß hört allerdings auf, wenn mehrere Busladungen deutscher Rentner in demselben Hotel einquartiert werden, wie der Erholung suchende Motorradreisende. Denn an Ruhe ist dann nicht mehr zu denken. Kennt Ihr die fünf sichersten Anzeichen dafür, dass eine Gruppe deutscher Rentner vor Euch den Urlaubsort erreicht hat?

Auf Platz Nummer 5: Urplötzlich dominiert die Farbe beige den Raum und überall sind Menschen mit Pudelfrisuren, Sandalen, Oberteilen mit Leopardenmuster oder karierten Kurzarmhemden.

 

Auf Platz Nummer 4: Ein schwerer Duft nach 4711, in Verbindung mit einem Hauch von Mottenkugeln, wabert über die Flure.

 

Auf Platz Nummer 3: Die Gespräche an den Nebentischen drehen sich schwerpunktmäßig um Zipperlein und/oder Stuhlgang.

 

Auf Platz Nummer 2: Es werden wortreich die Vorzüge russischer Panzer gepriesen.

Und das sicherste Anzeichen dafür, dass eine Gruppe deutscher Rentner vor Euch den Urlaubsort erreicht hat: Ihr müsst noch vor acht Uhr morgens Armdrücken mit einer alten Dame um die letzten Schlucke Eures Frühstückskaffees machen, weil die Dame Euren Tisch, Euren Kaffee oder beides haben möchte, und Euch dabei mit zitternder Stimme ankeift, dass Ihr keinen Respekt vor dem Alter habt.

 

Genug gejammert, ab auf die Fähre nach Helsinki - und hoffen, dass die Rentner vom Frühstück heute etwas anderes vorhaben! Die Fährfahrt dauert gerade einmal zwei Stunden und wir sind so früh wie noch nie an unserem Hotel. Das Katajanokka war früher ein Gefängnis. Aus jeweils zwei Zellen wurde ein Zimmer gemacht, und so hat man heute die Möglichkeit, hinter echten Gefängnismauern zu übernachten. Im Hof, wo früher die Gefangenen ihren einstündigen Auslauf genossen haben, spielt heute eine Zwei-Mann-Kombo mit Gitarre und Tamburin Klassiker von Tom Jones und Bob Dylan.

 

Zu Fuß erkunden wir Helsinki. Die Stadt ist schön, insbesondere die Gegend um den Hafen. Allerdings sind wir dem Trubel mental und physisch nicht (mehr) gewachsen. Wegen des guten Wetters sind nicht nur Myriaden von Touristen unterwegs, sondern auch die Einheimischen nutzen den Freitag, um in das Wochenende hinein zu feiern. Mit freien Oberkörpern liegen sie auf den Wiesen und Grünstreifen, halten ihre Tattoos in die Sonne und trinken das eine oder andere Bierchen. Immer wieder donnern Motorräder - hauptsächlich Harleys - vorbei, und ein Herr mittleren Alters und mit lichtem Haar gönnt seinem Ferrari etwas Auslauf um den Block. Immer und immer wieder. Wenn hier etwas weniger los wäre, wäre Helsinki auf meiner Favoritenliste bei dieser Reise ziemlich weit oben.

Hafenpromenade in Helsinki
Dom
Unsere Zelle im Gefängnishotel Katajanokka
Die Flure des Hotels versprühen noch Gefängnischarme
Orthodoxe Kirche in Helsinki
Gluthitze

28. Juli 2012



"Helsinki is Hell" rappte seinerzeit Hape Kerkeling mit seiner Spaßband "R.I.P. Uli" auf Viva. Diese Aussage können wir so pauschal nicht bestätigen. Eigentlich ist Helsinki sehr charmant und abwechslungsreich, aber die Temperaturen an diesem Morgen erinnern tatsächlich ein wenig an das Fegefeuer. Um der Hitze und dem einsetzenden Trubel zu entfliehen, buchen wir eine Tour auf einem Ausflugsdampfer, lassen uns die Seeluft um die Nase wehen und sehen uns die Stadt vom Wasser an.

 

Viel zu früh setzt man uns im Hotel vor die Tür. Weil das Haus an diesem Wochenende ausgebucht ist, kommt ein Late Check Out nicht in Frage. Also räumen wir mittags unsere Zelle und treten den Weg zur Fähre an. Am Terminal lernen wir Anja aus Finnland kennen. Jedes Jahr fährt sie mit ihrer R 80 GS zum Treffen der WIMA, der Womens' International Motorcycle Association. Da gibt es natürlich jede Menge Gesprächsstoff. Zusammen rollen wir auf die Fähre, die uns übermorgen zu unchristlicher Stunde in Rostock wieder ausspucken wird, und vertreiben uns den Tag an Bord bei Kaffee und Bier mit Motorradanekdoten und dem Austausch von Reisetipps.

 

29. Juli 2012



Während Gewitterregen gegen die Scheibe der Cafeteria prasselt und in der Ferne die Blitze ins Meer zucken, lassen wir auf der Fähre die Reise noch einmal Revue passieren. Wie immer ist der Urlaub viel zu schnell wieder vorbei. Was das Motorradfahren angeht, war Masuren sicher am aufregendsten. Die unzähligen Kurven und Schlaglöcher, die Offroadetappen und das Auf und Ab durch die Hügel waren wirklich ein Highlight. Das gilt auch für die freundlichen Menschen und das gute Essen. Die interessanteste Stadt war meines Erachtens Vilnius, während Neringa als bekennendem Mittelalterfan Tallinn am besten gefallen hat. Und die  Natur war am schönsten und der Erholungseffekt am größten in Estland bzw. auf der Insel Saaremaa. Es war die bunte Mischung aus alledem, die diese Reise so befriedigend macht. Wenn wir alles noch einmal machen könnten, würden wir vielleicht etwas weniger Zeit in der Stadt und etwas mehr Zeit auf dem Land einplanen. Und Gerd ist in Gedanken immer bei uns, so wie Obi-Wan Kenobi immer bei Luke Skywalker ist. "Erst anhalten und dann absteigen", höre ich seine beruhigende Stimme sagen...

Warum denn nicht gleich so?!